Stolz statt Scham
Dank der Touristen bewahren die Emberas in Panama ihre traditionelle Kultur
Text und Fotos: Rainer Heubeck
Fahrt auf dem Rio Gatun
Das Holzboot, in das wir steigen, ist über sechs Meter lang und mit bequemen, breiten Holzbänken versehen. Ein schlanker, junger Embera-Indio mit pechschwarzen Haaren, der nur einen knappen, pinkfarbenen Lendenschutz trägt, sitzt auf der Bootsspitze und späht nach Hindernissen im Wasser. Die Fahrt auf dem Rio Gatun, der relativ wenig Wasser führt, dauert nur etwa zwanzig Minuten. So klein und unscheinbar der Fluss wirkt, im Grunde genommen ist er eine Wasserzufuhr für eine der bedeutendsten Seefahrtsstraßen der Erde – denn der Gatunfluss mündet in den Gatun-See, der das Herz des Panamakanals ausmacht.
Ankunft in Embera Quera
Wir besteigen das Boot nahe dem Panama-Colon-Expressway und wir verlassen es beim Dorf Embera Quera, das wenige hundert Meter vor der Mündung des Flusses in den Gatunsee am linken Flussufer liegt. Elf Frauen, etliche davon mit Kind im Arm oder an der Hand und ein halbes Dutzend Männer mit hölzernen Musikinstrumenten bilden unser Empfangskomitee, sie versammeln sich auf einer Wiese vor den mit trockenen Palmblättern bedeckten Rundhäusern der Embera, die allesamt sehr neu aussehen. „Im Jahr 2018 hat jemand Öl erhitzt und nicht auf die Pfanne aufgepasst, damals ist unser halbes Dorf abgebrannt“, berichtet Elvin Flaco, einer der Sprecher des Dorfes, das zu rund neunzig Prozent vom Tourismus lebt. „Wir haben lange diskutiert, ob wir uns öffnen sollen und uns dann dafür entschieden. Die Besucher helfen uns, unsere Kultur zu bewahren. Früher haben sich junge Leute oft geschämt, Embera zu sein, heute sind viele stolz darauf, die Emberatracht zu tragen“, berichtet Elvin Flaco.
Empfang
Bis zu 200 Besucher pro Tag werden hier an guten Tagen empfangen. „Mehr würden wir mit unseren Booten auch gar nicht transportieren können“, erklärt Elvin Flaco, der eine Kette aus Wildschwein- und Ozelotzähnen um den Hals hängen hat, doch alles andere ist als ein Hinterwäldler. Der Embera hat in Panama City Ökotourismus studiert, er ist Tourguide und auf Twitter aktiv. „Früher lebten die Embera nahe der Grenze zu Kolumbien, dort waren immer wieder bewaffnete paramilitärische Truppen aus Kolumbien unterwegs. Aus Sicherheitsgründen zogen die Embera dann nach Zentralpanama, in die Umgebung des Chagresflusses und betrieben dort Landwirtschaft.
Essen wird vorbereitet
Doch 1984 wurde die Region zum Nationalpark erklärt und es gab strenge Regeln – wir durften nicht mehr jagen und keine größeren Agrarflächen mehr bebauen. Statt Avocados, Yams, Kochbananen und Reis anzubauen konnten wir nur noch kleine Gemüsegärten haben, und da das Jagen verboten war, blieb nur noch der Fischfang. Viele junge Leute gingen deshalb weg aus den Dörfern in die Stadt – und es bestand die Gefahr, dass wir unsere Kultur endgültig verlieren“, erinnert sich Elvin Flaco. Im Jahr 1997 trafen sich Vertreter aus den verschiedenen Gemeinden zum Generalkongress – und fällten dort den Entschluss, sich dem Tourismus zu öffnen. 1999 habe man dann damit angefangen. „Anfangs waren wir sehr schüchtern und wir wussten nicht so recht, wie wir mit den Touristen umgehen sollen. Unsere Boote waren zu klein – und in den Dörfern hatten wir noch keine richtigen Toiletten“, erinnert sich Elvin Flaco, der mit seiner Familie damals noch in einem Dorf am Ufer des Rio Chagres lebte.
Im Gespräch mit Elvin Flaco
Der Ort in dem er heute lebt – Embera Quera, was übersetzt so viel heißt wie „der Duft der Embera“ – wurde erst 2007 gegründet. Anfangs lebten hier nur circa sechs Familien, heute sind es sechsundzwanzig und insgesamt 76 Bewohner. Einer von ihnen ist Miguel Flaco, der Onkel Elvins. Er ist 64 Jahre alt und gilt als Gründervater des Dorfes. Der Umgang mit Touristen ist ihm vertraut, er hat in Gamboa als Tourguide gearbeitet und sich am Smithsonian Institute zum Thema Naturmedizin weitergebildet. Viele der Pflanzen, die er uns bei einem Rundgang zeigt, hat er jedoch von seiner Mutter und seiner Tante erklärt bekommen.
Was wächst denn da?
„Meine Mutter hat mich bekommen, als sie schon 60 Jahre alt war, ein Schamane hatte ihr einen Trank gegeben, der die Fruchtbarkeit fördert. Sie ist später noch sehr alt geworden und erst mit 110 Jahren gestorben“, beteuert er – doch wer weiß, ob diese Zahlen auf Registereinträgen beruhen oder vielleicht nur geschätzt sind. Seine Mutter, so berichtet er, habe ihm auch beigebracht, eine Frucht mit fast unaussprechlichem Namen eine Stunde lang bei niedriger Hitze zu kochen, in den Sud Zucker zu gegeben und vor dem Schlafengehen in jedes Auge einen Tropfen des Suds zu träufeln. „Das reinigt die Linse und beseitigt Grauen Star“, versichert er. Aus anderen Pflanzen gewinnen die Indios Tees, die bei Haut- und Prostatakrebs die Heilung unterstützten sollen, wieder andere helfen bei Diarrhoe oder Fieber.
Wenn der Außenbordmotor streikt ist ein Mechaniker gefragt
Besonders stolz ist Miguel Flaco auf das neue, gerade in Bau befindliche größere Schulgebäude, an dem wir bei unseren Rundgang ebenfalls vorbeikommen. „Bislang unterrichtet unsere Kinder hier ein Lehrer aus Colon, wir hoffen aber, dass wir künftig auch einen Embera-Lehrer haben werden“, berichtet Miguel Flaco. Sein Neffe Elvin Flaco ergänzt: „Das Dorf unterstützt es, wenn junge Menschen weggehen und etwas lernen. Ideal für uns ist, wenn sie anschließend wiederkommen und ihr Knowhow hier anwenden. Wir brauchen hier ja nicht nur Tourguides, sondern auch Buchhalter und Mechaniker, die unsere Boote reparieren.“
Frösche
Viele der Einheimischen betätigen sich kunsthandwerklich, sie fertigen und verkaufen Flecht- und Schnitzarbeiten, Teller, Figuren, Masken und Schmuck. Obgleich es im Dorf keine feste Stromversorgung gibt, nur einzelne Generatoren, ist es kein Problem, die in Embera Quera erworbenen Souvenirs direkt mit Kreditkarte zu bezahlen. Schließlich haben die Emberas mittlerweile bereits mehr als zwanzig Jahre Erfahrung im Umgang mit Besuchern. Ob der Tourismus auch negative Einflüsse hat, will ich wissen. Und Elvin Flaco räumt ein, dass das durchaus so sei. „In etlichen Embera-Dörfern haben die Einheimischen Probleme mit Alkohol. Wenn Gäste kommen, die viel trinken, ist das kein gutes Vorbild. In anderen Orten, nicht bei uns, hat es bereits Unfälle gegeben, weil Embera-Bootsfahrer betrunken waren.“
Es kann auch mit der Kreditkarte bezahlt werden
Auch beim Fotografieren ließen manche Besucher das notwendige Taktgefühl vermissen. „Manche fotografieren einfach zu viel“, klagt Elvin Flaco. „Unserer Frauen trugen normalerweise nur einen Rock, aber keine Oberbekleidung. Mittlerweile haben sie das umgestellt, weil ihre blanken Brüste ständig fotografiert worden sind“, ergänzt er. Dass Besucher fotografieren wollen, verstehen die Emberas jedoch durchaus– und sie starten deshalb eine mit Trommeln, Flöten und hölzernen Perkussionsinstrumenten begleitete Tanzvorführung, die von den Embera-Frauen mit Hibiskusblüten im Haar barfuß und zum Teil in nach vorne geneigter Haltung auf dem fast spiegelglatten braunen Lehmfußboden des Gemeinschaftshauses dargeboten wird. Natürlich ist das vor allem eine Touristenshow, aber die Emberas verdienen dadurch ihren Lebensunterhalt – und das Interesse von außen hilft ihnen dabei, ihre Kultur zu bewahren.
Die Tänzerinnen werden von Trommeln, Flöten und Percussion begleitet
Informationen
Reisezeit: Im Land herrschen ganzjährig milde Temperaturen zwischen 29 und 32 Grad. Hauptreisezeit ist die Trockenzeit von Januar bis April. Von Juni bis August sowie im Dezember kann Panama ebenfalls gut besucht werden. An der Karibikküste sind zwischen Mai und Oktober Unwetter möglich.
Geld/Preisniveau: Die Standardwährung ist der amerikanische Dollar, die offizielle Währung ist der Balboa, der mit einem Kurs von 1:1 an den Dollar gekoppelt ist aber der nur in Münzform im Umlauf ist. In Hotels und Geschäften kann meist mit Kreditkarten bezahlt werden. Euro werden nicht überall getauscht. Es empfiehlt sich, US-Dollar in Bargeld mit sich zu führen.
Sprache: Die meisten Panamaer sprechen Spanisch, die Amtssprache Panamas. Englisch ist gebräuchlicher als in anderen zentralamerikanischen Staaten.
Souvenirs: Beliebte Mitbringsel sind Rum oder Kaffee sowie Handarbeiten der verschiedenen Indiogruppen, etwa die kunstvoll gestaltete Molas (Stofftücher) der Kuna-Indianer oder Korbwaren oder geflochtene Puppen der Emberas.
Flechtwerk
Touren nach Embera Quera: Queratours, Tel. +507 67285987, E-Mail: info@queratours.com, WhatsApp Number: 67039475. www.queratours.com
Auskunft und Infos: visitpanama.com, www.visitcentroamerica.com.
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Kurzportrait Panama
Es war ein verwegener Plan und ein alter Traum der seefahrenden Menschheit: Atlantik und Pazifik mit einem Schifffahrtskanal miteinander zu verbinden. Nach einem gescheiterten Projekt der Franzosen nahmen die US-Amerikaner die Sache zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Hand. 1903 schlossen die Nordamerikaner mit Panama einen Vertrag ab, der sie ermächtigte, den Panamakanal durch den Isthmus von Panama zu bauen. Bis zur offiziellen Freigabe 1914 beschäftigte das titanische Werk Heerscharen von Ingenieuren und Arbeitern und forderte - angesichts all der Unfälle, Gelbfieber-, Malaria- und Ruhrepidemien - sage und schreibe 25.000 Menschenleben.
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